Letztens sagte eine Mitarbeiterin aus meinem Team zu mir „ich möchte auch so mutig sein wie du“. Anlass war ein gemeinsames Telefonat mit einer Kollegin, in dem es für mich einfacher gewesen wäre, nachzugeben und meine Entscheidung zu ihren Gunsten zu ändern. Stattdessen habe ich für meine Entscheidung eingestanden und mir möglicherweise Ärger von oben eingehandelt. Da habe ich mich gefragt, ob ich wirklich so mutig bin? Oder warum handle ich so?
Was ist Mut eigentlich?
Wenn ich hier von Mut schreibe, meine ich nicht den Mut vom 10-Meter-Brett zu springen oder eine Tarantel auf die Hand zu nehmen (auch wenn meine Anleitung zum Mut ebenfalls darauf anwendbar ist). Es geht um den Mut, den man benötigt, um Entscheidungen zu treffen, welche die eigene Bequemlichkeit zunächst schädigen oder mich kurzzeitig aus meiner Komfortzone herausholen. Es ist ebenfalls der Mut, den ich für Veränderungen benötige. Bleibe ich weiterhin an dem Ort wohnen, an dem ich schon seit Jahren wohne? Oder nehme ich einen anstrengenden Umzug, vorübergehende Fremde und den Abschied von meiner Vertrautheit in Kauf, um endlich dort zu leben, wo ich schon immer von träume? Lasse ich meine Haare lang und dunkelblond, oder traue ich mich endlich, einen rosafarbenen Pixi-Cut zu tragen, wenn ich ihn schon so lange haben will? Ich sage absichtlich „zunächst“ und „kurzzeitig“, wenn ich vom Bereich außerhalb der Komfortzone spreche, denn Veränderung wird früher oder später das neue Normal.
Wenn ich vor einer Entscheidung stehe, frage ich mich eine der folgenden zwei Fragen und die Entscheidung fällt mir unmittelbar leichter. Außer es geht darum, Essen zu bestellen - die entscheidende Frage, ob Pizza oder Sushi ist nicht so leicht gefällt.
1. Was kann schon passieren?
Zunächst ist es wichtig, zu verstehen, warum man sich gegen eine gewisse Veränderung entscheidet oder warum man die Entscheidung trifft, die angenehmere Konsequenzen nach sich zieht. Oder noch besser: Warum wählt man nicht die Veränderung oder die unangenehmen Konsequenzen? Es ist Angst. Doch wovor? Und da liegt die Magie - was ist das schlimmste, was passieren kann? Nehmen wir das Beispiel rosa Pixi-Cut. Im schlimmsten Fall siehst du ein bisschen scheiße aus. Keine Sorge, gegen die Farbe kann man etwas tun. Die Länge? Naja, die Haare wachsen wieder. Solange kannst du im allerschlimmsten Fall sogar Perücken ausprobieren, dir 50 Tücher, Hüte oder Turbane kaufen. Aber früher oder später gewöhnst du dich mit Sicherheit an die Frisur. Und wenn nicht: Jeden Monat wachsen Haare im Schnitt 1 cm. Abwarten und Tee trinken also. Ich habe noch ein eigenes Beispiel. Als ich verkündete, dass ich meine Wohnung kündige, sowie alle Möbel und mein Auto verkaufe, um eine Weltreise zu starten, sagten alle erstaunt „Und was, wenn das nicht klappt?“. Meine Antwort war immer nur „Was soll denn nicht klappen?“ Im worst case komme ich wieder nach Hause, suche mir eine Wohnung und arbeite genau so weiter, wie ich es aktuell tue. Wenn du selber gerne etwas tun würdest, dich aber nicht traust, stell dir die Frage „Was ist das schlimmste, was passieren kann?“. Wenn du dann mit diesen möglichen, wenn auch sehr unwahrscheinlichen Folgen leben kannst, tu es.
2. Was möchte ich meinen Enkelkindern später erzählen?
Ein weiteres Gedankenspiel, was ich gerne spiele, ist „Was möchte ich meinen Enkelkindern später erzählen, wenn ich alt und grau auf der Veranda sitze?“. Ich kann mit Sicherheit behaupten, dass in keinem Szenario die Antwort gewann „Damals habe ich in meinem 9 to 5 Job ein Projekt erfolgreich zu Ende gebracht, das hat mir einen Bonus von 5.000€ gebracht, wovon ich in den Urlaub gefahren bin, nur um danach wieder von morgens bis abends im Büro zu sitzen“. Nein - ich will erzählen, wie mir in Lettland auf der Landstraße die Türen aus dem Wohnwagen gefallen sind und wir mitten in der Pampa die Türen reparieren mussten. Ich möchte erzählen, dass ich eines Tages alles verkauft habe, um die Welt zu bereisen. Ich möchte davon erzählen, wie ich mir meine Haare lila mit Leopartenmuster gefärbt habe und meine Arbeitskollegen mich alle für verrückt hielten.
Mehr drauf scheißen
Kommen wir zurück zum anfänglichen Statement meiner Kollegin. Sie hat mir Mut zugeschrieben. Ich habe in dem Moment allerdings weniger an Mut als an Indifferenz gedacht. Um es einfacher auszudrücken: Ich scheiß einfach mal auf Dinge. Was soll schon im schlimmsten Fall passieren? Ich könnte gefeuert werden. Abgesehen davon, dass es in Deutschland glücklicherweise gar nicht mal so einfach ist, einen Mitarbeiter zu kündigen, würde ich eine nette Abfindung bekommen. Die könnte ich nehmen und mir etwas eigenes aufbauen. Oder ich könnte einen Monat frei nehmen und nur noch reisen. Ich müsste dann immerhin nicht mehr Nachts um 3 Uhr aufstehen. Ich könnte mich auch woanders bewerben - irgendeinen Job werde ich schon bekommen. Und wenn nicht, sind wir wieder beim Aufbau von etwas eigenem - will irgendwas in mir drin das nicht eh schon heimlich die ganze Zeit? Vielleicht brauchte es nur noch einen Stups vom Universum…